Ist Marktforschung Werbung? Urteil des Amtsgerichts Frankfurt
Seit Jahren wird darüber diskutiert und prozessiert, ob Marktforschung eher Wissenschaft oder eher Werbung ist. Lässt man sich von politisch motivierten (bzw. anderweitig interessengeleiteten) Darstellungen nicht blenden, sehen die Grundpositionen in etwas folgendermaßen aus:
1. Marktforschung ist in erster Linie Wissenschaft, da mit wissenschaftlichen Methoden Fragestellungen im Umfeld der freien Wirtschaft untersucht werden. Zwar werden die daraus gewonnenen Erkenntnisse meist dazu verwendet, den Absatz von Produkten zu steigern, aber die Forschung selbst ist nicht direkt an Verkaufsaktivitäten gekoppelt.
2. Marktforschung dient grundsätzlich der Absatzförderung und ist damit ein Werkzeug von Marketing und Verkauf, auch wenn der konkrete Forschungsvorgang davon losgelöst ist. Wissenschaftliche Forschung soll der Allgemeinheit zu deren Wohl dienen; Marktforschung dient allein den Interessen der Auftraggeber, oft auch gegen die Interessen der Allgemeinheit (je nach beforschtem Gegenstand).
Es ist schwierig, zu dieser Frage einen klaren Konsens zu finden. Ein Thema, das im Hintergrund mitschwingt, ist die Bewertung unseres Wirtschaftssystems und der Beziehung zwischen Unternehmen und Konsumenten im Allgemeinen. Wird das Verhältnis zwischen Unternehmen und Konsumenten eher negativ betrachtet (Werbung als Manipulation der Verbraucher zum Verkauf unnützer Dinge), fällt auch die Bewertung der Marktforschung als “Handlangerin” eher negativ aus. Entsprechend umgekehrt verhält es sich bei einer postiveren Sicht (Werbung als Produktinformation, um für eine optimale Ansprache und Versorgung der Konsumenten zu sorgen).
In den letzten Jahren gab es viele Gerichtsurteile, die teils in die eine, teil in die andere Richtung tendierten. Mit dem aktuellen Urteil des Amtsgerichts Frankfurt a. M. schlug das Pendel dieses Mal zugunsten der Marktforschung aus, weshalb dieses Urteil vom BVM mit Wohlwollen aufgenommen wird. Das letzte Wort ist hierbei sicher nicht gesprochen. Viel wird auch davon abhängen, ob die Branche ihre klare Abgrenzung zu Trittbrettfahrern und unlauteren Akteuren des Direktmarketing beibehält. Und ob sie den Verlockungen von Big Data und der damit verbundenen Aushebelung bisheriger Datenschutzstandards widersteht. Das wird schwierig, weil die Gefahr droht, dass viele Kunden an marktbeherrschende Akteure der IT-Branche abwandern – Akteure, welche Datenschutz und Privatsphäre vorrangig als Geschäftshindernis betrachten.